Der Mensch lebt kurze Zeit
Serie: | Bibeltext: Hiob 14,1-6
Hiob
Ein Mann, der sich sehr mit diesen Gedanken auseinandergesetzt hat, ist Hiob. Hiob geht es extrem schlecht. Als frommer Mann war er von Gott gesegnet mit Reichtum und einer grossen Familie. Aber dann wollte Satan ihn auf die Probe stellen, um zu beweisen, dass er nur deswegen fromm war, weil es ihm so gut ging. Hiob verlor seine zehn Kinder, seinen Besitz, zuletzt auch seine Gesundheit.
Drei Freunde suchen ihn auf, um ihm beizustehen. Das Gespräch zwischen den dreien ist interessant, aber es bleibt unbefriedigend. Hiob beharrt darauf, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen und darum eine solche Strafe nicht verdient. Seine Freunde wollen ihm deutlich machen, dass es möglich ist, unbewusst und unwillentlich schuldig zu werden, und dass Hiob vielleicht in seiner Vergangenheit doch Dinge getan hat, die sein jetziges Schicksal rechtfertigen. Hiob lehnt diesen Vorwurf kategorisch ab, und es scheint, als ob er dazu auch das Recht hat. Sein Lebenswandel war, so schreibt es die Bibel, rechtschaffen, es gab also nichts an ihm auszusetzen, er hat die Gebote Gottes genau befolgt. Und so sind seine Antworten auf die Fragen oder Vorwürfe seiner der Freunde oft mehr an Gott gerichtet als an seine Freunde. So ist es auch bei unserem Predigttext.
Vorsehung
Hiob stellt fest, was wir alle schon wissen: Unser Leben ist begrenzt, Gott allein weiss, wann es zu seinem Ende kommt. Gott hat dem Menschen eine Grenze gesetzt, die er nicht überschreiten kann. Niemand kann sein Leben gegen Gottes Willen verlängern.
«Wer von euch kann dadurch, dass er sich Sorgen macht, sein Leben auch nur um eine einzige Stunde verlängern?» Matthäus 6,27 (NGÜ)
Die Bilder, die Hiob als Vergleich braucht, sind auch nicht gerade ermutigend: Eine Blume, die kaum ist sie aufgeblüht auch schon verwelkt (oder je nach Übersetzung abgeschnitten wird) und ein flüchtiger Schatten. Man merkt, da spricht einer, der sich in einer tiefen Krise befindet. Und wer selber schon so eine Krise erlebt hat oder gar mitten drin steckt, der kann das gut nachvollziehen.
Aber auch wer nicht in einer Krise steckt bemerkt, da steckt eine Spannung drin: Das Leben des Menschen ist nicht nur vergänglich, sondern seine Lebenszeit ist sogar von Gott her bestimmt. Da stellt sich manchem die Frage: Was soll ich da überhaupt, wenn mein Leben sowieso vergänglich ist und meine Tage von Gott bestimmt sind? Hiob fragt denn auch Gott vorwurfsvoll, weshalb er ihn auf Schritt und Tritt im Auge behält und ihn schliesslich vor sein Gericht stellt (Vers 3). Wenn er doch ein vergänglicher Schatten ist, dessen Tage gezählt sind.
Das steht in Spannung zur menschlichen Freiheit. Gott plant und vollbringt, dass die von ihm geschaffene Welt und der Mensch an das von ihm bestimmte Ziel kommen. Das letztlich unerklärbare Wunder (und Geheimnis) besteht darin, dass Gott mit uns Menschen an sein Ziel kommt, ohne dass er uns manipuliert und obwohl er uns die Freiheit lässt. Das bleibt ein Geheimnis des Glaubens, das wir letztlich nicht erklären können, sondern das haben wir auszuhalten haben. Das gehört zum Glauben grundlegend dazu.
In einer anderen Situation sagt Paulus in Bezug die Ehe, dass sie ein Geheimnis bleibt, das wir nicht auflösen können. Trotzdem kann er sagen: «Ich deute es aber so ...» (vgl. Epheser 5,32).
Und so sage ich in Anlehnung an Paulus: Die Spannung zwischen Gottes Vorsehung und unserer Freiheit lässt sich letztlich nicht auflösen. Ich deute es aber so, dass Gott uns nicht voraus eilt. Ich möchte das am Beispiel vom Gebet erklären.
Wenn Gott alles weiss und also auch weiss, wie alles heraus kommt, dann würde Gebet keinen Sinn machen. Wozu beten, wenn sowieso feststeht, was geschieht? Doch in der Bibel werden wir unzählige Male aufgefordert zu beten und speziell auch zu bitten (z.B. Mt 9,38; 21,22; Joh 15,16; 16,24 ...). So fordert Jesus seine Jünger auf: Bittet - so wird euch gegeben (Mt 7,7). Oder Abraham bittet, ja handelt richtiggehend mit Gott für wie viele gottesfürchtige Menschen er die Stadt Sodom verschonen solle, und Gott lässt sich darauf ein.
Anders gesagt: Gott wartet auf unser Bitten. Er «überholt» uns nicht. Und so kann man sagen: Ein Mensch, der betet, kommt für Gott nie zu spät! Also auch wenn unsere Lebenszeit bei Gott feststeht, so haben wir doch die Verantwortung, aber auch die Möglichkeit, unser Leben zu gestalten.
Ursprungssünde
Eine andere Feststellung die Hiob macht: «Wie könnte ein Reiner vom Unreinen kommen?» Das erinnert ein wenig an die Aussagen, die Jesus später macht über die Früchte:
«Erntet man etwa Trauben von Dornbüschen oder Feigen von Disteln? So trägt jeder gute Baum gute Früchte; ein schlechter Baum hingegen trägt schlechte Früchte.» Matthäus 7,16-17 (NGÜ)
Wenn also die Eltern eines Menschen vor Gott nicht als rein oder als gerecht gelten, so sind auch deren Nachkommen nicht rein oder gerecht. Dabei geht es hier nicht um «Erbsünde», im Sinne von, dass ein Mensch die konkreten Sünden und vergehen seiner Eltern «erbt». Es geht auch nicht darum, dass die Zeugung Sünde wäre. Sondern es geht darum, dass wir alle von Geburt an verstrickt sind in Sünde. Wir stammen ab von Menschen, die Sünder sind. Wir werden in ein Umfeld hineingeboren, dass schon voll Sünde ist. Und so hat jeder Mensch Teil an der Entfremdung von Gott, an dem «Verfallensein» an das Böse, hat Anteil daran, dass er entfernt ist von dem, was er eigentlich sein sollte. Niemand kommt als Kind Gottes zur Welt.
Herausfordernd am Begriff der Sünde ist, dass er zwei Dimensionen hat. Zum einen ist Sünde eine konkrete Tat, welche jemand begeht. Zugleich ist Sünde aber auch auch eine Macht, die den einzelnen Taten überlegen ist, die mehr ist als einzelne Taten.
Und so stehen wir als Menschen einerseits der Sünde gegenüber und haben die Möglichkeit uns zu entscheiden, ob wir etwas nun tun oder nicht. Andererseits aber können wir nicht entscheiden, ob wir Sünder sind oder nicht.
Ruhe
Das menschliche Leben ist nicht nur in seiner Länge bestimmt, sondern, so sagt Hiob diese Dauer ist auch kurz und voll von Unruhe, mit Unruhe gesättigt. Die ursprüngliche
Bedeutung dieses Wortes ist «bewegt sein, zittern». Heftige Gefühlsregungen bewirken hier also eine Lebensunruhe, welche Hiob umtreibt.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich Hiob im Vers 6 Ruhe wünscht. Er sagt, er möchte nicht viel. Er wäre schon damit zufrieden wenn er, wie ein Tagelöhner am Ende seines Tages noch ein wenig Ruhe hätte, nach dem anstrengenden und ermüdenden Tagewerk. Hiob möchte körperliche und seelische Ruhe, Erholung, Entspannung.
Ich denke, diesen Wunsch können wir alle gut nachvollziehen. Von Natur aus sind wir Menschen unruhig. Auch der Psalmbeter fragt sich:
«Was bist du so gebeugt, meine Seele, und so unruhig in mir?» Psalm 42,6
Wir wollen alles mögliche und unmögliche erreichen. Wir verbrauchen Dinge, Worte, Gedanken und bleiben doch unerfüllt. Wir wollen etwas erreichen, erwerben, aufbauen, wir schaffen und kämpfen, sind unterwegs und wollen Ziele erreichen.
Und doch sehnen wir uns nach Ruhe, nach einer Ruhe, die mehr ist als Ferien oder als einfach mal nichts zu tun. Letztlich nach einer Ruhe, die wir in dieser Welt so nicht finden.
Der bekannte christliche Autor C. S. Lewis hat daraus folgendes geschlossen:
«Wenn wir in uns selbst ein Bedürfnis entdecken, das durch nichts in dieser Welt gestillt werden kann, dann können wir daraus schließen, dass wir für eine andere Welt erschaffen sind.»
Und der frühchristliche Theologe Augustinus hat es so ausgedrückt:
Du hast uns zu dir hin erschaffen, o Herr,
und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet, o Gott, in dir.
Schon im Alten Testament verheisst Gott seinem Volk Ruhe. Er gab dem Volk Israel nach 40 Jahren unsteter Wüstenwanderung Ruhe im verheissenen Land. Und auch der Tempel ist ein Haus der Ruhe und des Gebetes, das erbaut wurde von König Salomo, von dem es in der Bibel heisst, er sei ein «Mann der Ruhe» (1Chr 22,9).
Diese göttliche Ruhe ist eine Folge der Beziehung zu Gott. Sie ist inhaltlich ganz nahe bei der anderen grossen Verheissung, die wir oft verkürzt mit «Frieden» übersetzten: Shalom.
Ruhe bedeutet ein neues Verhältnis zu Gott. Die Ungewissheit und Angst ist überwunden in der Freude der Gegenwart und Vergebung Gottes. Zu solcher Ruhe lädt Jesus seine Nachfolger ein, die sich abmühen und unter der Last des Gesetzes leiden und am Ende ihrer Kraft sind:
«Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben.» Matthäus 11,28 (ELB85)
Und diese Ruhe durfte Hiob später, nach dem Ende seiner Krise, auch erleben. Ganz am Ende des Buches Hiob heisst es, dass Hiob alt und «lebenssatt» starb. Nicht mehr mit Unruhe gesättigt, sondern gesättigt mit vollem Leben.
Amen