Tänzer oder Stolperer
Serie: Nachfolgen | Bibeltext: 1. Mose 1,26-27
Wenn es mit dem Menschen stimmt …
Es war einmal ein kleiner Bub. Ein pfiffiger Kerl. Und quicklebendig. Sein Vater sass in der gleichen Stube und wollte Zeitung lesen. Unmöglich. Zu viel Lärm. Da kam dem Strapazierten urplötzlich ein rettender Gedanke: Papi greift aus dem nahen Gestell ein altes Buch. Schlägt es auf und reisst ein Blatt mit der Abbildung einer Weltkarte heraus. Er zerstückelt es und ruft dem Buben zu: «Hej, Timi, ich habe ein interessantes Spiel für dich! Setz die Fetzen dieser Weltkarte richtig zusammen, da hast du Klebstreifen. Wenn’s dir gelingt, bekommst du einen Euro.»
Und schon sitzt Timi in einer Ecke und arbeitet still. Der Vater freut sich über die Ruhe. Sie wird lange dauern bei der schwierigen Aufgabe.
So denkt er.
Weit gefehlt! In wenigen Minuten hält der kleine Pfiffikus dem erstaunten Vater die fehlerlose Arbeit unter die Nase. Kopfschüttelnd fragt dieser immer wieder: «Wie konntest du nur … und in dieser kurzen Zeit … und eine Karte der Welt, die du gar nicht kennst?»
«Ganz einfach, schau da!» Und Timi zeigt dem Vater die andere Seite des Blattes, wo gross ein Menschenantlitz abgebildet ist. «Ich habe einfach das Menschenbild zusammengesetzt und dann stimmte es auf der anderen Seite auch mit der Welt!»
Der Vater schweigt. Lange. Dann sagt er nachdenklich immer wieder vor sich hin: «Ja wirklich, so ist's: Stimmt’s mit dem Menschen, dann stimmt’s auch mit der Welt.»
Wenn es mit dem Menschen stimmt, dann stimmt es auch mit der Welt. Eine gute Beobachtung. Leider gilt auch das Umgekehrte: Weil es mit dem Menschen nicht mehr stimmt, deshalb stimmt es auch mit der Welt nicht. Und dass mit der Welt etwas nicht stimmt, das können wir täglich im Fernsehen beobachten oder in der Zeitung lesen. Das ist allerdings nicht erst seit ein paar Jahren so, sondern schon ganz lange.
Und so stellen sich Menschen und besonders auch Theologen schon seit vielen Jahren immer wieder die Frage: Was kann man dagegen tun? Was kann man tun, damit es mit dem Menschen stimmt?
Vor rund 100 Jahren stellten sich in Deutschland zwei Männer unabhängig voneinander diese Fragen in der schwierigen Zeit, in der die Nationalsozialisten mehr und mehr Macht ergriffen. Der eine war der Jude Martin Buber, der andere war der Pfarrer und Theologe Dietrich Bonhoeffer. Beide kamen auf unterschiedlichen Wegen zu ganz ähnlichen Schlüssen: Menschen, die in solch schwierigen Zeiten leben können den Versuchungen und dem Druck von offizieller Seite nur standhalten, wenn sie einen starken Charakter haben. Und so war beiden ein wichtiges Anliegen, den Charakter von Menschen, speziell auch jungen Menschen zu stärken. Beide engagierten sich deshalb in der Bildung. Buber erst in Deutschland, später dann in Palästina. Bonhoeffer als Dozent in der Pfarrerausbildung.
Sowohl für den Juden Buber als auch für den Christen Bonhoeffer hat die Nachfolge vor allem Charakterbildung zum Ziel. Sie sind überzeugt: Ein Mensch mit Charakter gibt die Hoffnung auch in hoffnungslosen Zeiten nicht auf. Ein Mensch mit Charakter ist von Gesellschaftszwängen befreit. Er ist eine eigenständige Persönlichkeit und trotzdem mit anderen verbunden und ihnen gegenüber auch verantwortlich. Er kann Schein von Sein unterscheiden und bleibt nicht bei der beobachtenden Analyse stehen, sondern lässt sich von der Wirklichkeit ansprechen, berühren und bewegen. Ein solcher Mensch geht nicht nur sachliche Beziehungen ein, sondern auch persönliche und damit verletzliche Beziehungen. Er flieht nicht in eine Welt der Träume, sondern lebt verantwortlich in dieser Welt.
Jesus macht in der Bibel deutlich, dass Charakter wichtiger ist als der Dienst. Sowohl in der Bergpredigt als auch in der Feldrede beschreibt Jesus den Charakter eines Bürgers im Reich Gottes. Und Paulus beschreibt diesen Charakter als Früchte des Geistes (Galater 5,22-23) oder als Waffenrüstung Gottes (Epheser 6,10-20).
Tänzer
Wir haben in der Geschichte vorhin gehört, dass es offenbar mit dem Menschen nicht immer stimmt. Doch wie kommt es dazu?
Aus der Bibel wissen wir: Gott baut sein Königreich. Doch der Begriff «Königreich» ist für uns heutige Schweizer ein weit entfernter Begriff. Schon seit Jahrhunderten haben wir Schweizer eine gewisse Abneigung gegen Könige oder nur schon gegen deren Vögte. Wir wollen keinen König über uns haben, der alleine bestimmen und ohne Rücksprache, ohne uns zu fragen über uns regieren könnte. Aber auch die Monarchien, die es in Europa heute noch gibt, sind eigentlich keine richtigen Königreiche mehr. Diese Königinnen und Könige haben nur noch repräsentative Aufgaben. Und Länder, in denen ein Einzelner sehr viel Macht hat, die bezeichnen wir als Diktaturen. Und die sind sehr negativ. So kommt es, dass wir nicht so wirklich viel mit «Königreich» anfangen können.
Bernhard Ott brauch deshalb in seinem Buch «Tänzer und Stolperer» anderes Bild, um deutlich zu machen, wie wir uns die Königsherrschaft Gottes vorstellen können.
Gottes Herrschaft bedeutet, dass er die Musik macht, und sein Reich realisiert sich in dem Masse, wie wir Menschen nach seiner Musik tanzen.
Doch beginnen wir von vorne. Gott erschafft den Menschen. Der dreieine Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, der in sich selber schon Gemeinschaft ist, schafft sich ein Gegenüber, den Menschen.
Dann sprach Gott: «Nun wollen wir Menschen machen, ein Abbild von uns, das uns ähnlich ist! Sie sollen Macht haben über die Fische im Meer, über die Vögel in der Luft, über das Vieh und alle Tiere auf der Erde und über alles, was auf dem Boden kriecht.» So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, als Gottes Ebenbild schuf er sie und schuf sie als Mann und als Frau. 1. Mose 1,26-27 (GNB)
Mit diesem Gegenüber will er Gemeinschaft haben. Der Schöpfer selber lässt sich auf ein partnerschaftliches Abenteuer mit seinem Geschöpf ein.
Und dieses Geschöpf «Mensch» ist ein Abbild oder Ebenbild von Gott. In der Theologie ist schon viel darüber diskutiert worden, was genau das bedeutet.
Soll es heissen, dass der Mensch ein Stück weit göttlich ist? Im Psalm 8 lesen wir:
«Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.» Psalm 8,5-6 (Luth17)
Und im neuen Testament lesen wir, dass Menschen, die an Gott glauben, erfüllt werden mit dem Heiligen Geist, sie sind ein lebendiger Tempel, eine «Wohnung» des Heiligen Geistes.
Gottes Ebenbild oder Abbild zu sein, dass kann aber auch heissen, dass er den Menschen als «Statthalter Gottes» auf dieser Erde eingesetzt hat. Herrscher haben früher oft ein Standbild von sich in ihren Ländereinen aufgestellt, welches sie in diesem Gebiet repräsentieren soll. Als Menschen sind wir gewissermassen das Abbild von Gott in dieser Welt. Wir sind nicht selber Gott. Aber wir sind an seiner Stelle hier.
Dazu hat er uns den Auftrag gegeben, über diese Welt zu «herrschen». Wobei wir das eher im Sinne von verwalten verstehen sollten. So wie ein Hirte die Tiere leitet oder ein Gärtner seine Pflanzen pflegt. Der Mensch soll die Erde bebauen und bewahren (1.Mo 2,15).
Auf jeden Fall kommt Gott am Schluss der Schöpfung zum Schluss, dass es so sehr gut ist. Das gilt jedoch unter der einen Bedingung: Der Mensch tanzt nach der Melodie Gottes.
Stolperer
Doch es kommt anders . Gott hat den Menschen zu einem echten Gegenüber geschaffen, ein Gegenüber, mit dem er eine persönliche Beziehung haben kann. Er liebt uns Menschen. Und er möchte, dass auch wir Menschen ihn lieben. Liebe setzt aber eine Vertrauensbeziehung voraus. Und Vertrauen gewinnt man nur mit einem Vertrauensvorschuss. Aber ein Vertrauensvorschuss ist immer auch ein Risiko. Das ist die auf dieser Welt einmalige Aussage des jüdisch-christlichen Glaubens: Gott gibt uns einen Vertauensvorschuss und geht damit ein Risiko ein.
Gott hat uns Menschen so geschaffen, dass wir eine gewisse Freiheit haben. Wir sind nicht total Vorherbestimmt. Gott hat sich keinen «Tanzroboter» geschaffen. Wir sind nicht untrennbar an Gott gebunden.
Auf der anderen Seite haben wir als Geschöpfe aber auch keine absolute Freiheit. Wir können unser Leben nicht von Grund auf selbst bestimmen. Aber wir haben doch die Freiheit selber zu entscheiden, nach «wessen Musik wir tanzen wollen». Damit haben wir aber auch die Verantwortung für diese Entscheidung.
Und so wird der Mensch schon unmittelbar nach der Schöpfung zum Stolperer, weil er sich immer wieder entscheidet, nach einer anderen Musik zu tanzen, statt mit Gott nach seiner Musik. Sünde ist deshalb nicht einfach ein paar falsche Verhaltensweisen, nicht einfach das Übertreten von ein paar Regeln. Sondern etwas viel Grundlegenderes. Es ist die Entscheidung, nicht nach Gottes Musik zu tanzen. Oder wie es Paulus im Römerbrief sagt:
«Die Menschen erwiesen ihm nicht die Ehre, die ihm zukommt, und blieben ihm den Dank schuldig.» Römer 1,21 (NGÜ)
Doch wenn wir uns entscheiden, nach der Musik Gottes zu tanzen, dann kommt es gut mit uns Menschen.
Amen.